Ein preußischer Offizier brachte Amerika den Sieg (2024)

Als Hofmarschall kommt er schließlich im süddeutschen Fürstentum Hohenzollern-Hechingen unter. Es ist keine Bühne für Ruhmestaten, und Steuben wird die zwölf Jahre, die er hier verbringt, rückblickend als "verschleudert" bezeichnen. Der Absprung ist jedoch nicht leicht. Vergeblich lässt er seine Beziehungen zu Streitkräften in ganz Europa spielen, bis ihn eine Zufallsbekanntschaft 1777 an die amerikanischen Gesandten in Paris vermittelt.

Steuben schöpft Hoffnung. Er ahnt indes nicht, dass der Zeitpunkt denkbar schlecht ist, um bei der amerikanischen Armee unterzuschlüpfen. Der Kongress hat seine Gesandten Benjamin Franklin und Silas Deane angewiesen, auf keinen Fall mehr ausländische Offiziere anzuwerben. Allzu freigiebig haben sie für den Geschmack der amerikanischen Anwärter bislang Patente in Europa verteilt. Und so ist das Angebot, das man Steuben schließlich unterbreitet, im Grunde eine Demütigung. Er soll auf eigene Kosten nach Amerika reisen und sich direkt beim Kongress vorstellen. Hoffnungen auf eine Anstellung macht man ihm nicht. Es ist ein absurdes Risiko, aber er hat keine Wahl. Und immerhin befriedigt der Schwindel um seine Qualifikation seinen Ehrgeiz: Zwar reist er von geborgtem Geld, aber als preußischer General.

Wenn Steuben nicht ganz der ist, für den man ihn in Amerika hält, so ist die Armee, die er in Valley Forge vorfindet und die seinen Ruhm aufpolieren soll, auch nicht gerade das, was er erwartet hat. Es fehlt an allem, an Nahrung, Kleidung, Waffen. Die Männer rösten Stockbrot. Viele der Soldaten, die einer der mächtigsten Armeen der Welt die Stirn bieten sollen, gehen barfuß im Schnee, Decken und Mäntel sind Mangelware. Es grassieren Typhus, fiebrige Infekte, die Krätze; immer wieder müssen erfrorene Füße amputiert werden. Bis der Frühling anbricht, wird Valley Forge bis zu 2.500 Männer das Leben gekostet haben.

Ende Februar 1778 hat die Kontinentalarmee den schlimmsten Monat des Krieges hinter sich. Seit dessen Beginn ist die Regierung mit dem Management einer professionellen Armee überfordert gewesen. Sie muss nicht nur bei chronischem Geldmangel aus dem Nichts zentrale Verwaltungsstrukturen schaffen – noch dazu hat sie sich des Misstrauens der Regierten zu erwehren. In den Kolonien ist man gewohnt, seine Belange auf lokaler Ebene zu regeln, und sich außerdem einig, dass man nicht die englische Herrschaft abschütteln will, nur um sich einer neuen Zentralgewalt zu unterwerfen. Steuern für den Unterhalt von Soldaten zu erheben kommt unter diesen Umständen nicht infrage. Darüber hinaus konkurriert die Armee mit der Zivilgesellschaft, die sie verteidigen soll, um die notorisch knappen Arbeitskräfte und um viele Versorgungsgüter. Während seine Männer in Valley Forge darben, muss George Washington die Straßen um Philadelphia kontrollieren lassen, damit die amerikanischen Bürger ihre Waren nicht den finanziell besser ausgestatteten Briten verkaufen.

Steuben ist schockiert von den Zuständen, und auch von den Soldaten ist er zunächst enttäuscht: Wie viele Europäer hat er sich ein Heer von Bürgersoldaten vorgestellt, aus Farmern, Kaufleuten und Handwerkern, die zu den Waffen greifen, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Doch die Männer, denen Steuben in Valley Forge begegnet, rekrutieren sich überwiegend aus den ärmsten Schichten. Seit die Euphorie der ersten Kriegsmonate verflogen ist, ziehen die Bürger es vor, die Erkämpfung ihrer Rechte denen zu überlassen, die am wenigsten von ihnen profitieren. Wer es sich leisten kann, bezahlt einen Stellvertreter, der den Kopf für ihn hinhält.

Zugleich erweisen sich die Ideale, die Amerika in den Krieg getrieben haben, an mancher Stelle als Hindernis: Ein stehendes Heer ist vielen immer noch als Unterdrückungsinstrument des Staates verdächtig. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine Armee mit der kurzen Dienstdauer und der begrenzten Reichweite der kolonialen Milizen den Krieg nicht gewinnen kann. George Washington ist hingegen schon länger von der Notwendigkeit überzeugt, die Soldaten systematisch zu exerzieren. Der Oberfehlshaber weiß, dass die Niederlagen seiner Streitkräfte vor allem daher rühren, dass es ihnen schwerfällt, unter feindlichem Beschuss geordnete Manöver auszuführen. Die Aufgabe, das zu ändern, fällt Steuben zu.

Am Morgen des 19. März 1778 treten in Valley Forge die ersten 100 Männer einer eigens zusammengestellten Modellkompanie zum Drill an. Vor allem Tempo und Präzision will Steuben verbessern. Statt mit den in der britischen Armee üblichen 60 Schritten pro Minute marschieren die Soldaten jetzt mit preußischen 75, auch die Schrittlänge wird vereinheitlicht. Steuben selbst führt den Männern vor, wie sie zu stehen, zu drehen und ihre Musketen zu schultern haben. Seine Auftritte sind bald berühmt im Lager. Er erklärt, korrigiert und schimpft in drei Sprachen. "Kommen Sie und fluchen Sie für mich auf Englisch, die Kerle wollen nicht tun, was ich befehle!", ruft er seinem Übersetzer zu, wenn ihm die englischen Flüche ausgehen. Sein Einsatz beeindruckt die Offiziere, die das Exerzieren bisher als lästige Pflicht ihren Unteroffizieren überlassen haben. Auch Washington ist zufrieden. Schon nach fünf Tagen kann das neue Programm in den einzelnen Einheiten eingeführt werden.

Allerdings begegnet nicht nur die Gesellschaft einer professionellen Armee mit Skepsis, auch die Soldaten hadern mit ihrer neuen Rolle. Sie sind stolz darauf, Freiwillige zu sein, und pflegen ihre Individualität und ihre Eitelkeiten. Zum Missfallen der Offiziere tragen sie ihre Haare gern lang. Sie gehen im Lager ein und aus, wie es ihnen gefällt, und statt die Wachposten zu besetzen, plündern sie benachbarte Farmen oder tauschen dort ihre wenige Ausrüstung gegen Schnaps ein. Immer wieder kommt es zu Unfällen, weil im Lager herumgeschossen wird.

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